Dominik Eisenegger, haben Sie in Ihrer Karriere als Bankfachmann schon jemals eine Krise wie den aktuellen Corona-Lockdown erlebt?
Dominik Eisenegger: Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten einige Wirtschafts- und Finanzkrisen erlebt. Jede dieser Krisen war einzigartig. Die aktuelle Situation ist inbesondere geprägt durch die Einschränkungen in den persönlichen Freiheitsrechten, wie dies meine Generation noch nicht erlebt hat. Ebenso waren die Wucht und die Geschwindigkeit der Geschehnisse ausserordentlich.
Sie kennen die Gossauer Wirtschaft sehr gut. Was zeichnet sie aus?
Unsere Region ist geprägt durch eine grosse und gesunde Branchenvielfalt. Die Firmen sind bestens vernetzt und teils über Generationen gewachsen. Ein überdurchschnittlich starkes Wachstum hat unsere Region wohl in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt, gleichzeitig waren aber auch die Rückschläge in Phasen der Rezession weniger ausgeprägt.
Unsere Region ist geprägt durch eine grosse und gesunde Branchenvielfalt.
Wie wurde die Gossauer Wirtschaft und das Gewerbe aus Ihrer Sicht von Corona getroffen?
Sehr unterschiedlich. Gewisse Branchen verzeichneten einen Einbruch im Auftragseingang und geplante Investitionen wurden aufgeschoben. Andere Firmen hingegen hatten mit Problemen der Zulieferer zu kämpfen, um die an sich noch gute Auftragslage bewältigen zu können. Besonders stark betroffen waren auch in unserem Einzugsgebiet der Detailhandel und die Gastronomie. Im Detailhandel wurde versucht, mittels digitaler Kanäle einen Teil des Umsatzeinbruches wettzumachen.
Waren die lokalen Banken dadurch speziell gefordert?
Wir als Bank waren auf unterschiedliche Weise gefordert: Einerseits beanspruchten einige unserer Firmenkunden die vom Bund verbürgten Covid-Darlehen; daraus ergaben sich für unsere Firmenkundenberater teils intensive Gespräche. Andererseits ging es darum, vor dem Hintergrund von Social Distancing gewisse Geschäftsabläufe neu zu gestalten und Mitarbeitende sowie Kundinnen und Kunden zu schützen. Und nicht zuletzt kam der Personalführung eine ganz besondere Rolle zu, mussten doch auch Sicherheit und Klarheit ausgestrahlt werden.
Wie beurteilen Sie die langfristigen Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze?
Dies wird zu einem grossen Teil abhängig sein von der Dauer einer Rezession. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Krise eine verstärkte Strukturbereinigung bringen wird. Es ist zudem auch noch nicht abschliessend erkennbar, welche Auswirkungen neue Arbeitsmodelle sowie die zunehmende Digitalisierung auf die Anzahl der Arbeitsplätze haben wird. Grundsätzlich erwarte ich aber nicht eine Verringerung, sondern primär eine Verlagerung hin zu neuen Geschäftsfeldern.
Die acrevis Bank ist stark im lokalen Hypothekargeschäft tätig. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt und damit auf die Hypotheken?
Aufgrund der attraktiven Lage erwarte ich für die Region Gossau keine grösseren Preiskorrekturen im Liegenschaftsmarkt. Der Leerwohnungsbestand wird sich aufgrund vieler noch geplanter Rendite-Objekte wohl weiter erhöhen. Im Gewerbebereich ist die Nachfrage nach Industrieland weiterhin hoch, während kleinere Gewerbeflächen im Detailhandel verfügbar sind. Durch diese Krise wird die Phase der Niedrigst-Zinsen noch etwas länger anhalten. Es ist allerdings derzeit noch zu früh, um abschliessend abschätzen zu können, ob ein Anstieg der Inflation nach der Krise zu tendenziell höheren Zinsen führen wird.
Mit welchen Herausforderungen sah sich die acrevis Bank in den letzten Wochen hauptsächlich konfrontiert?
Die acrevis Bank ist stark lokal und regional verankert, was uns auch in der aktuellen Situation zugutekommt. So waren wir in der Lage, während der Krise durch viele Gespräche den Puls unserer Kundinnen und Kunden zu spüren und den Kontakt aufrechtzuerhalten. Dabei haben wir unsere Bankschalter ganz bewusst offengehalten, sodass unsere Kunden sämtliche unserer Dienstleistungen in Anspruch nehmen konnten. Die wohl grösseren Herausforderungen waren organisatorischer Natur: Wir mussten sicherstellen, dass die Arbeitsprozesse auch im Homeoffice effizient und sicher ablaufen und die Anordnungen des Bundes jederzeit eingehalten werden konnten. Dank unseren engagierten und motivierten Mitarbeitenden ist uns dies gelungen.
Wie stark waren Sie und Ihr Team in die Vergabe der Corona-Kredite involviert?
Unsere Firmenkunden haben diese Möglichkeit zum Teil genutzt, um in dieser schwierigen wirtschaftlichen Phase über genügend Liquidität zu verfügen. Aktuell stellen wir fest, dass ein grosser Teil dieser Liquidität noch immer auf den Konten liegt und somit Reservecharakter hat. Dabei war es beeindruckend zu sehen, wie schnell und effektiv viele unserer Firmenkunden reagiert und beispielsweise die Liquiditätsplanung angepasst haben.
Ist die lokale Gossauer Wirtschafts- und Bankenwelt nach Überstehen der Pandemie noch dieselbe?
Ich wünsche mir natürlich, dass die staatlichen Unterstützungsmassnahmen wirken und ein Impfstoff bald eingesetzt werden kann, sodass eine längere Krise abgewendet wird. Zudem hoffe ich, dass wir in unserem Geschäftsgebiet keine grösseren Firmenkonkurse erleben, welche durch diese Krise initiiert wurden. Und ganz allgemein wäre es wünschenswert, wenn diese Situation dazu führt, dass Firmen ihre Arbeitsmodelle und Prozesse kritisch beleuchten und ihre Strategien noch zukunftsfähiger gestalten. So hätte diese Krise zumindest in dieser Hinsicht etwas Positives.
Was hat diese Krise bei Ihnen ganz persönlich bewirkt?
Mir wurde einmal mehr bewusst, was es bedeutet, in einem Land wie der Schweiz mit einem intakten politischen System zu leben und viele Freiheiten zu geniessen, aber auch, was es bedeutet, wenn Freiheitsrechte eingeschränkt werden. In dieser Zeit der eingeschränkten Reisemöglichkeit habe ich zudem auch die Schönheit und Vielfalt der Schweiz in Bezug auf die Freizeit- und Feriengestaltung noch mehr schätzen gelernt.